Leseprobe zum Buch
"Jesus und der kleine Prinz"
Mit dem Herzen sehen und alles ist gut
Der kleine Prinz will, dass sein Freund, der notgelandete Flieger, ihm ein Schaf malt, damit er es mit auf seinen Planeten nehmen kann. Doch das erste Schaf, das der Flieger etwas unwillig auf das Papier kritzelt, erscheint ihm krank, das zweit alt, das dritte hat Hörner und würde als ausgewachsener Widder zu groß für seinen Planeten werden. So weist er die Bemühungen seines Freundes zurück. Da malt der genervte Flieger eine Kiste und sagt::,,Dein Schaf ist da drin.“ ,,Oh, wie wunderbar!“, ruft der kleine Prinz, ,,wie schön es ist! Genauso wollte ich es!“ ,,Ist es nicht so“, sagte Werner danach wie von selbst zu den Kindern, ,,was wir äußerlich sehen, erscheint uns alt, krank, gefährdet, doch hinter dem Verschlag, in den wir unsere äußere Welt sperren, ist alles wunderschön und neu.“ ,,Man soll mit dem Herzen sehen“, riefen die Kinder, die schon weitergelesen hatten. Mit dem Herzen sehen, nicht nach äußeren Eindrücken urteilen, wie konnte das aussehen? Alter und Krankheit und Unpassendes waren doch da?
,,Was geschieht denn“, fragte Werner Dr. Christ in der nächsten Sitzung, die ihn entscheidend weiterbringen sollte, ,,wenn wir Dinge dieser Welt als alt und krank und voller Krieg und Unglück sehen?“ Sonst war Dr. Christ immer heiter und irgendwie abgehoben. Doch nun verdüsterte er sich fast. ,,Wenn ein Kind geboren wird“, sagte er, ,,ist es leer. Es hat noch nicht die Gitterstäbe im Kopf, mit denen es sich später in seine Welt einsperrt. Noch ist es im Himmel, im Wunder des direkten Glücks.“ * Dann fing sein Gesicht zu leuchten an. ,,Jeder Mensch träumt nur, das er hinter seinen Gitterstäben eingesperrt ist.“ Und als ob er Werner etwas besonderes sagte, fuhr er fort: ,,Nur die Gitterstäbe sind der Traum. Sie abzuschaffen ist die einzig wirkliche Entscheidung, die ein Mensch in seinem Leben treffen kann.“
Er machte eine Pause. ,,Das Schöne und Wunderbare ist auf der anderen Seite dieser Gitterstäbe verborgen“, sagte er dann. ,,Man kann einen schönen Traum nur dann verwirklichen, wenn man aus dem Unglückstraum von den Gitterstäben aufwacht.“ ,,Aus was wacht man auf, welchen Traum kann man verwirklichen?“, entfuhr es Werner. ,,Gehen Sie zum Fenster“, sagte Dr. Christ. Werner ging zum Fenster und blickte unwillkürlich hinaus. Ein paar Bäume, langweiliger Rasen, geparkte Autos. ,,Setzen sie sich“, hörte er die Stimme Dr. Christs. Und als er wieder saß, sagte dieser: ,,Eben haben Sie geträumt.“ ,,Ich bin zum Fenster gegangen“, sagte Werner erstaunt, ,,was war daran geträumt?“ ,,Sie räumten den Traum der Trennung“, erklärte Dr. Christ. ,,Sie nahmen die Gitterstäbe mit, als Sie zum Fenster gingen. Sie gingen und schauten auf die Ihnen üblich Weise aus dem Fenster und sie sahen was Sie sahen. Dieses Gewohnte nehmen Sie überall hin mit. So kann nie etwas neu sein und Sie kommen in nichts neuem an.“ Er tröstete Werner sofort. ,,Doch nicht Sie sind daran schuld. Der Vater hat diesen Traum gemacht.“
Dr. Christ schien in einer anderen Welt zu sein, als er dies sagte. ,,Wenn Sie jetzt verstehen, was geschah, können Sie die Welt retten. Die gesamte Menschheit“, fügte er hinzu und sah Werner an. ,,Ich bin gekommen, um einen Versuch zu machen. Ich habe Sie ausgewählt. Ich glaube, das Sie mich verstehen können. Es ist ganz einfach.“
In diesem Moment schien auch für Werner alles ganz einfach zu sein. Spontan ging er wieder zum Fenster und sah hinaus. Das Gleiche. Doch dadurch, das er dies ein zweites Mal tat, schien es nicht das Gleiche zu sein. Gab es dieses Gleiche überhaupt? Dr. Chris schien sich über diesen eigenständigen Versuch zu freuen. ,,Man betritt niemals den gleichen Fluss“, sagte er. ,,Weder Sie, noch der Fluss sind ein zweites Mal gleich. Aber darauf kommt es nicht an. Das ist nur der Anfang“. Werner fiel der kleine Prinz wieder ein. Zwar sagt er einmal, das Schaf ist alt, dann ist es krank, dann ist es wieder nicht recht. Doch er wiederholt dabei immer nur, dass die Schafe, die der nervöse Flieger zeichnet, ihm nicht zusagen.
Werner sah plötzlich, dass auch die Menschen sich einmal über dies und dann über das aufregten, aber es war ein immer feststehendes, ohnmächtiges Gejammer! In allen möglichen Variationen! So hatte auch er immer nur geurteilt, verglichen und gemeckert oder gelobt: alt, krank, dumm, unfähig, aufsässig, intelligent, entwicklungsfähig – er griff sich an den Kopf, ihm fiel es wie Schuppen von den Augen – das waren seine durchwegs gleichen, aber immer wieder verschiedenen Gitterstäbe, durch die er seine Welt sah, hinter denen er sich bewegte, die er überall hin mitnahm, selbst wenn er nur an sein Fenster ging und draußen alles langweilig fand!
Die Litanei seines Lebens! Es waren also immer die gleichen Gitterstäbe, für die er immer wieder andere und neue Worte fand, mit denen er sich von der Welt trennte, indem er sie beurteilte und hinter denen er sich selbst einsperrte! Er selbst war wie der kleine Prinz, der unwirsch auf das Offensichtliche der Zeichnungen reagierte, weil sie ihn nicht zufrieden stellten. Denn der Pilot war selbst nervös und durch seine Probleme abgelenkt und damit auch hinter seinen Gitterstäben gefangen, als er das Schaf zeichnete… So gab man auch den anderen die eigenen Gitterstäbe weiter…
Werner wiederholte für sich, um ganz deutlich das für ihn Neue festzuhalten: Nach außen sah er durch seine Gitterstäbe, da unterlag alles seinem kritischen Urteil.Aber das verborgene Schaf in seinem Inneren war immer gleich schön und wunderbar, genau so wie er es wollte! Man sah es nur nicht wegen der Kiste!
wir werden, was wir sehen“